Rechts oder links – spielt das überhaupt eine Rolle?
Nichts hat so deutlich gezeigt, wie leicht man von einer Schublade in die andere einsortiert wird wie die Corona-Krise. Bevor die Regierung den ersten Lockdown verkündete, wurden diejenigen, die sowohl Grenzkontrollen als auch Einschränkungen des öffentlichen Lebens forderten, als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Hemmungslos verortete man jeden im rechten Spektrum, dem der Regierungskurs keinen ausreichenden Schutz zu bieten schien. Erst nachdem die Regierung begonnen hatte, weitreichende Einschränkungen umzusetzen, wendete sich das Blatt und die Zuordnungen verkehrten sich in das genaue Gegenteil.
Eigentlich hätte dies eine hinreichende Warnung sein müssen, um zu erkennen, wie wenig tauglich diese Art Schubladendenken in der Realität ist. Tatsache ist, dass rechts und links oder ihre extremistischen Varianten inzwischen beinahe beliebig und zudem inflationär verwendet werden. Der Vorteil für viele Menschen besteht vor allem darin, eine klare Abgrenzung zu „den anderen“ zu ermöglichen. Für Politik und Medien ist diese Art der „Freund-Feind-Kennung“ unglaublich praktisch. Sie wird dementsprechend begrüßt und beinahe täglich bemüht, um missliebige Themen aus der Öffentlichkeit zu halten und die Stimmung anzuheizen.
Wie tief verwurzelt diese Art ist, in Schubladen zu denken, durfte ich kürzlich bei einem im Grunde zufälligen Experiment feststellen, das ich bei Meta durchgeführt habe. Nachdem ich mein letztes Buch veröffentlicht hatte, entschied ich mich dort ein wenig Werbung zu schalten. Was für Künstler, aber auch Unternehmen ein ganz normaler Vorgang ist, erlaubte mir einen ungeplanten Einblick in die Denkweise verschiedener Menschen. Ein Fazit könnte lauten, dass die Gesellschaft nicht nur gespalten ist, sondern ebenso, die Menschen in ihrer politischen Orientierung. Die Schubladen, in die wir die Menschen einsortieren, sind jedoch häufig unpassend. Trotzdem fahren wir damit fort und steigern uns genau in diese Methodik hinein, um Andersdenkende zu bekämpfen und uns ganz nebenbei eines sachlichen Diskurses zu entledigen.
Links – das bedeutete früher angeblich, sich für die Arbeiterklasse starkzumachen und dazu gehörten natürlich auch die Bauern. Es stand symbolisch für das Aufbegehren gegen das Establishment, gegen das Großkapital und vor allem gegen die politische Elite. Ausnahmen bildeten vor allem restriktive, sozialistische oder kommunistische Regime, auch wenn heute vielfach bestritten wird, dass diese überhaupt dem linken politischen Spektrum zuzuordnen sind.
Tatsache ist allerdings, dass wir aktuell live miterleben dürfen, was passiert, wenn das linke Spektrum sich radikalisiert. Das passiert immer dann, wenn das Individuum dem Gemeinwohl untergeordnet wird und der Staat Solidarität einfordert. Dann gehen Menschen gegen Kritiker dieses Regimes auf die Straße oder gegen diese vor. Wo das schließlich endet, konnte bereits einige Male beispielhaft beobachtet werden, obwohl es natürlich keine Gewissheit darüber geben kann, wie weit die Akteure aktuell bereit sind zu gehen. Der angeschlagene Ton und die Hysterie lassen jedoch kaum etwas Gutes ahnen.
Die Bauern werden von den Medien zum Feindbild stilisiert und ins rechte Spektrum gedrängt. Bei einigen mag das sogar zutreffend sein, aber die Verallgemeinerung stellt nur eine weitere Wiederholung einer bereits mehrfach erprobten Taktik dar. In Kombination mit der Correctiv-Affäre um die AfD schlägt man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Das ist ein riskantes Spiel, aber zugegebenermaßen ein brillanter Schachzug.
Niemand möchte sich mit Rechten noch gemein machen. Die Regierungsparteien können also auf ein gewisses Maß an Unterstützung für ihre Demonstrationen zählen, auch wenn diese sich vermutlich mehr erhofft hatten. Etwaige Verfehlungen in den vergangenen zwei Jahren verblassen zusehends und die Bauern verlieren einen Teil des Rückhaltes in der Bevölkerung. Das Beste ist jedoch, dass man den Menschen auf diese Weise das sogenannte „Demokratiefördergesetz“ unterjubeln kann. Abgesehen von dem Wort Demokratie, das im Demokratiefördergesetz steckt, hat dieses Gesetz mit Demokratie und vor allem ihrer Förderung kaum Gemeinsamkeiten.
Ein Grund dafür liegt in der geplanten Erhöhung einer Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen. Obwohl diese von niemandem gewählt sind, können sie für die Politik eine wichtige Stütze darstellen. Medial lassen sich etwa Statements bestimmter Organisationen viel überzeugender verkaufen als eine Politik, die gebetsmühlenartig die Menschen mit den immer gleichen Phrasen traktiert. Viele Menschen nehmen zudem nicht wahr, wie viele Steuermittel an entsprechende Interessengemeinschaften fließen, sodass sie als „unabhängige“ Multiplikatoren der Politik wirken können.
Ferner lädt solches Gesetz geradezu zum Missbrauch ein und zur Unterdrückung einer jeden unliebsamen Opposition. Einzig, das Brandmarken als rechte oder besser noch rechtsextreme Partei oder Gruppierung ist dafür notwendig und eine solche Beurteilung fällt dem Verfassungsschutz inzwischen eher leicht als schwer. Wer glaubt, man würde damit nur die AfD aus dem Weg räumen, der wird sich wahrscheinlich irgendwann sehr verwundert die Augen reiben, sollte dieses Gesetz beschlossen werden. Der inzwischen in Kraft getretene Digital Service Act der EU hilft zudem dabei, unliebsame Meinungen zu marginalisieren. Insgesamt erinnert das Vorgehen eher an die Willkür während der Corona-Krise. Vielleicht hat die Politik sich ein wenig zu sehr an das „Durchregieren“ gewöhnt.
Da die Spaltung der Corona-Zeit nie wirklich überwunden wurde und die Fronten nach wie vor sehr deutlich sind, fällt es vielen Menschen sichtlich schwer, in einer derart aufgeheizten Stimmung kühlen Kopf zu bewahren. Trotzdem bin ich überrascht, wie leicht einige Menschen zu triggern sind und wie hartnäckig sie dabei bleiben. Linke verstehen sich gerne als eloquent und sachlich. Sie geben sich zudem als tolerant und offen. Nichts davon könnte bei vielen von ihnen weiter von der Realität entfernt sein.
Kritik an den Demonstrationen „gegen rechts“ kommt bei Linken miserabel an. Sie möchten sich nicht als Regierungsbefürworter sehen, sondern als Kämpfer für Freiheit und Vielfalt. Dennoch marschieren sie Seite an Seite mit den Regierungsparteien. Es tut mir wirklich leid, euch das sagen zu müssen, aber immerhin habt ihr den Satz geprägt:
„Man marschiert nicht mit Rechten oder Nazis.“
Wenn ihr also mit der Regierung im Gleichschritt marschiert, dann macht ihr euch auch mit ihr gemein. So einfach mache ich mir es mir jetzt einfach, auch wenn ich die Regierung weder für rechts noch für Nazis halte, macht ihr euch eurer eigenen Logik zufolge mit ihr gemein, wenn ihr mit den Regierungsparteien demonstriert. Falls ihr das anders seht, dann solltet ihr euch in Zukunft zweimal überlegen, ob ihr den obigen Satz noch verwenden wollt.
Noch interessanter ist, wie ein einfacher Buchtitel sofort bestimmte Assoziationen auslöst. „WIR SIND DER STAAT“, könnte ursprünglich ein absolut linker Slogan sein. Gemeint habe ich damit übrigens alle Bürger in diesem Land – Konservative, Linke, sogar Rechte, etc., weil mir klar geworden ist, dass keine Gruppe aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen werden kann, wenn man in ein und demselben Land lebt. So funktioniert Demokratie einfach nicht. Umgekehrt bedeutet es natürlich ebenso, dass linke Gruppen Teil der politischen Debatte sein müssen.
Bei dem Zusatz, „Ist das Volk wirklich der Souverän?“, scheinen dann noch zusätzliche Alarmglocken bei einigen anzuschlagen. Dabei hatten viele Linke lange Zeit genau diesen Standpunkt vertreten. Heute heißt es hingegen, die AfD, ihre Wähler, aber auch dieBasis und andere Gruppen seien nicht das Volk. Natürlich sind sie nicht alleine das Volk und damit auch nicht der Souverän, aber sie sind genauso Teil davon, wie viele andere Gruppierungen und noch dazu achten viele das Grundgesetz sehr viel mehr, als es die linke Blase und vor allem linke Politik heutzutage tun. Gerade auch, um das radikale Potenzial zu minimieren, ist ein Dialog angezeigt. Wie soll sonst überhaupt eine Radikalisierung wahrgenommen werden? Sie würde sich immer nur auf Behauptungen stützen.
Wahrscheinlich war ein weiterer Teil des Problems, dass ich die Frechheit besessen habe, das höchste deutsche Parlament auf dem Cover abzubilden, vor dem eine Deutschlandflagge weht. Diese Flagge steht aktuell bei vielen nur bedingt hoch im Kurs. Auf Demonstrationen gegen Rechts ist bei dieser Flagge mit der Willkommenskultur jedenfalls Schluss. Vermutlich wäre eine Regenbogenflagge bei einem gewissen Teil der Bevölkerung sehr viel besser angekommen.
Die Ironie daran ist eigentlich, dass kein einziger von weit über 300 Kommentaren unter meiner Werbung, sich inhaltlich auf das Buch bezog. Es wurde schlicht davon ausgegangen, dass man den Tenor kennt. Dabei ist das Werk nicht nur eine Kritik an den Regierungsparteien, sondern beinhaltet auch eine sachliche Auseinandersetzung mit der AfD, obwohl ich in diesem Zusammenhang auf die Nazikeule verzichtet habe. Dafür gibt es ja die Süddeutsche Zeitung und andere Leitmedien.
Unabhängig von inhaltlichen Fragen ist ein Beharren auf der Richtigkeit des eigenen Standpunktes augenfällig. Während linksorientierte Männer sich sonst immer bemühen, respektvoll mit Frauen umzugehen, um sich als Feministen zu präsentieren, gelten die Regeln der Gleichberechtigung offensichtlich nur für gleich gesinnte weibliche Personen. Teilt man die Meinung dieser Männer nicht, dann sind sowohl Mansplaining als auch Beleidigungen durchaus akzeptabel, wenn es der eigenen Argumentation dienlich scheint oder besser gesagt, diese zu wünschen übrig lässt.
Das ist deshalb so bemerkenswert, weil Konservativen und Rechten immer Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird und in diesem Zusammenhang auch Beleidigungen, die fernab jeder Sachlichkeit liegen, sondern stattdessen persönlicher Natur sind und sich teilweise auf Äußerlichkeiten oder das Geschlecht beziehen können. Schon vor über einem Jahr durfte ich feststellen, dass linksorientierte Männer ihren Pendants aus dem anderen politischen Spektrum kaum etwas schuldig bleiben. Dagegen fielen die Angriffe dieses Mal eher moderat aus, glitten jedoch schnell in eine Unsachlichkeit ab, die bei mir den Eindruck erweckt, als würde Mann einer lange unterdrückten Misogynie endlich einen gewissen Freiraum gewähren, der unter Linken normalerweise eindeutig missbilligt wird.
Mein Resümee aus dieser Erfahrung ist, dass die alten Schubladen und das damit verbundene Denken für die heutige Zeit völlig untauglich sind. Es spielt keine Rolle, wo jemand von anderen einsortiert wird. Alleine sein Verhalten zeigt, ob er sich bewusst ist, mit einem Menschen zu kommunizieren. Das bedeutet auch, sachlich auf Argumente einzugehen und sich nicht herauswinden zu wollen, wenn man widerlegt wurde. Für mich bleibt als ein Fazit die alte Weisheit:
Früher fiel es mir schwer, nicht alle Argumente auch auszutauschen. Die Corona-Krise hat mich gelehrt, dass manche Menschen gar nichts wissen wollen. Sie wollen nur Recht behalten und verlieren dabei den Fokus für das Wesentliche. Genau das sehen wir aktuell auf der Straße und es ist der Grund, weshalb die Politik derart leichtes Spiel hat.
Ich sage euch nicht, dass ihr euch immer einig sein müsst. Auch glaube ich nicht mehr, dass jede Spaltung überwunden werden kann. Was ich jedoch glaube und was ich mir wünsche, was der Grund ist, wieso ich weiterschreibe, ist die Hoffnung, Menschen zum Nachdenken zu bewegen. Nur so kann ihnen klar werden, dass sie die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Probleme nur gemeinsam lösen können und dabei wahrscheinlich einen Kompromiss finden müssen. Dafür brauchen wir keine Schubladen mehr.
© Bild von Andrew Martin auf Pixabay