Zum internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie
Sven Lehmann ist der Queerbeauftrage der Bundesregierung. Am vergangenen Wochenende spülte mir Twitter einen seiner Tweets in die Timeline. Das wiederum brachte mich zum nachdenken und ich wollte ihm eine Direktnachricht schreiben, was leider keine Option war. Also habe ich ihn über die Seite des Bundesministeriums für Senioren, Familie und Jugend als Queerbeauftragten direkt angeschrieben.
Mit einer Antwort rechne ich nicht, weshalb ich mein Schreiben zum Thema hier veröffentliche. Voranstellen möchte ich den Tweet, der mich überhaupt erst dazu veranlasst hat.
Sehr geehrter Herr Lehmann,
zufällig wurde einer Ihrer Tweets auf Twitter „in meine Timeline gespült“. Dort ging es um „transfeindlichen Müll“. Per se ist der Anfeindung, Ausgrenzung oder gar Verurteilung von Andersartigkeit eine klare Absage zu erteilen. Gerade, wenn es um das Selbstbestimmungsgesetz geht müssen aber auch die Ängste der Menschen Berücksichtigung finden und vor allem gehört werden. Ob die LGBTQ+-Gemeinschaft (ich nenne sie jetzt einfach mal so) tatsächlich einen Fürsprecher in Form eines Queerbeauftragten in der Bundesregierung braucht lasse ich jetzt mal dahingestellt. Es gibt sicher positive wie negative Aspekte in diesem Bereich. Einige werde ich mit in mein Schreiben einfließen lassen, wenn auch nicht direkt darauf beziehen.
Meine Erfahrung zeigt, dass nur wenige Kritiker auch tatsächlich homophob oder transfeindlich sind. Einige wenige Unverbesserliche gibt es auch dort natürlich, aber Toleranz lässt sich nicht erzwingen oder verordnen. Hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Das funktioniert lediglich in einem Teil der Politik-Blase.
Als ich mich 2004 entschied mein Leben auf eine neue Basis zu stellen und nach jahrelangem Zwiespalt den Weg beschritt, der mir als der richtige schien, um als Frau zu leben, war die Resonanz keineswegs so positiv geprägt, wie wir das heute aus den Medien kennen. All diesen Widrigkeiten und einem wenigstens problematischen TSG zum Trotz, bin ich diesen Weg gegangen. Viele der eigentlichen Probleme liegen allerdings im Inneren der eigenen Persönlichkeit. Natürlich spielt auch die äußere Akzeptanz dabei eine Rolle, aber eine „Transperson“ sein ist kein Beruf – es ist ein vorübergehender Zustand, auch wenn das Thema Jahre später immer wieder zur Sprache kommen wird, ebenso wie es bei Homosexualität der Fall ist. Auch hierbei kann ich aus Erfahrung sprechen.
Wirkliche Akzeptanz ist erst dann erreicht, wenn wir im Grunde nicht mehr darüber sprechen müssen, sondern die Dinge einfach so nehmen können, wie sie sind.
In diesem Zusammenhang stellen die wenigen – medial überproportional vertretenen – Personen der LGBTQ+-Gemeinde auch ein Problem dar. Natürlich muss auf bestimmte Schwierigkeiten wie die Gewalt, die Betroffene oft erfahren – physisch und psychisch – aufmerksam gemacht werden. Doch gerade die Präsenz besonders auffälliger Personen macht es Menschen schwer, ihre Akzeptanzschwelle zu senken. Stattdessen erhöht sich der Widerstand durch die gefühlt aufgezwungene Meinungsdiktatur, insbesondere bei Kritikern.
Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Gerade jemand wie Tessa Ganserer, die sehr in der Öffentlichkeit steht, sorgt für eine starke Polarisierung und dementsprechend auch Spaltung in der Gesellschaft. Ganz offen gesagt, ist für mich in keiner Weise nachvollziehbar wieso eine „Transfrau“ im Grunde jede Maßnahme zur Angleichung verweigert, ob nun namentlich, operativ oder auf andere Weise medizinisch. Das entspricht im Grunde keiner Transfrau, die ich je kennengelernt habe. Für mich wäre ein Leben ohne eine operative Angleichung undenkbar, weil mir immer etwas fehlen würde oder auch etwas zu viel wäre.
Ich verurteile diese Entscheidung nicht, weil mir das schlicht nicht zusteht. Ich kenne die Lebenswirklichkeit von Tessa Ganserer nicht und weiß dementsprechend auch nicht, was sie bewegt. Früher war jemand, der sich Frauenkleider und eine Perücke anzog, schlicht ein Transvestit. Das ist nichts Verwerfliches, nur eben etwas anderes als eine Transfrau. Conchita Wurst beispielsweise, war eine Kunstfigur, die ihr Erschaffer nach einer gewissen Zeit aufgegeben hat – wieder völlig legitim.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz versucht man nun Befindlichkeiten von sehr wenigen in ein Gesetz zu gießen und erntet – meiner bescheidenen Meinung nach – zurecht Kritik. Die Möglichkeit sein Geschlecht selbst zu definieren ist an sich lobenswert. Eine derart dramatische Vereinfachung öffnet aber Tür und Tor vor Missbrauch und schadet echten Betroffenen. Viele Beschwerden beziehen sich verständlicherweise auf den Kinderschutz. Wenn ich Kinder – besonders Mädchen – im Teenageralter hätte oder noch jüngere, dann wäre mir bei dem Gedanken sehr unwohl, eine erwachsene Person könnte sich als transsexuell tarnen, um sich etwa in eine Gruppenumkleidekabine zu schmuggeln. Den meisten Transfrauen, wäre das sicher eher unangenehm, solange sie noch einen Penis haben.
Viel sinnvoller wäre eine solide rechtliche Basis, um etwaige Unwägbarkeiten für transidente Menschen und Transsexuelle aus dem Weg zu räumen und ihr Recht auf eine Behandlung auf rechtlich sichere Füße zu stellen. Gerade die finanziellen Aspekte sind in diesem Zusammenhang eine große Hürde. Für die Gerichtsverfahren müssen die Betroffenen, so es ihnen möglich ist, selbst aufkommen. Das ist im Grunde indiskutabel. So wird das Selbstbestimmungsgesetz eher zum Gegenteil beitragen, da ja jede Person das Geschlecht einfach ohne medizinische Eingriffe oder Gutachten erwirken kann. Wozu also noch eine Operation? Wozu sollte ein Transmann seine Brüste entfernen lassen? Warum Hormonbehandlungen? So könnte in Zukunft die Argumentation klammer Krankenkassen aussehen und Betroffene in große Verzweiflung stürzen.
Gerade junge Menschen sollten sich einen solchen Schritt gut überlegen und auch durchaus mit den Konsequenzen konfrontiert werden, die diese Entscheidung mit sich bringt. Es ist ja auch eine Entscheidung für etwas und so kann es durchaus eine positive Entwicklung begünstigen. Auch nachdem ich beispielsweise eine medizinische Angleichung vollzogen hatte, soweit es mir eben möglich war, wurde ich von meinen Mitmenschen noch häufig mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Außerhalb einer gewissen Blase benötigen die Menschen eben etwas mehr Zeit und ich musste mich zwangsläufig oft mit dem Thema beschäftigen.
So wird es vielen ergehen, die keinen finalen Abschluss markieren können, egal wie dieser für die einzelne Person aussehen mag. Was man zweifellos durch all die widrigen Bedingungen lernt, was ich dadurch gelernt habe ist für mich einzustehen und für das woran ich glaube, aber auch, dass ich nicht jedem älteren Menschen meine Welt erklären muss oder meine Perspektive aufzwingen kann. Deshalb kann ich mich heute mit anderen, wichtigeren Dingen und Themen beschäftigen, weil das Thema für mich weitestgehend überwunden ist.
Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die aktuelle Situation nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Hatte ich jahrelang – aus verschiedenen Gründen (es auf die Transsexualität zu reduzieren würde der Wahrheit sicher nicht gerecht) – Schwierigkeiten eine Arbeit zu finden, so vin ich nun seit beinahe acht Jahren bei einem sehr auf Konformität bedachten Arbeitgeber angestellt. Durch die sich wandelnde Situation bin ich an einem Punkt angelangt, an dem mein Arbeitgeber selbst etwaige Kritikpunkte lieber gar nicht mehr mit mir bespricht. Man hat schlicht Angst vor mir, bzw. vor dem, was ich darstelle und fürchtet um die eigene Wokeness. Absurd ist dafür schon eine zu schwache Beschreibung. Es ist geradezu grotesk.
Es muss doch einen Mittelweg geben, der Akzeptanz fördert, ohne Kritiker gleich in eine wie auch immer geartete Schublade zu stecken.
Aus diesen Gründen würde ich es begrüßen, wenn die Politik sich an der Lebensrealität der betroffenen Personen orientiert und hier ein breiteres Spektrum als das einiger weniger in seine Entscheidung miteinbezieht und in eine realistische und weitsichtige Gesetzgebung überführt.
Mit freundlichen Grüßen
Christina Kade
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