Weihnachtsspaziergang
Gestern bereits, an Heiligabend, konnte ich die eindrucksvolle „Rückkehr des Lichts“ (drei Tage nach der Wintersonnenwende) bestaunen. Während des Vormittags schien die Sonne dabei mehrere Stunden durch mein Fenster, als wolle sie mich zu einem Spaziergang einladen.
Tatsächlich beabsichtigte ich sogar dieser „Einladung“ Folge zu leisten. Wie das allerdings manchmal so ist, wurde nichts daraus. Und heute? Heute schien die Sonne es gleich noch einmal versuchen zu wollen und so machte ich mich auf den Weg, wenn auch etwas später als geplant.
Noch bevor ich die vermeintlich ruhigeren Gegenden erreichte, fiel mir auf, wie wenig weihnachtlich es doch in der Stadt wirkt oder besser gesagt, in meinem Teil der Stadt.
An der Tankstelle um die Ecke herrscht reges Treiben. An der Straße davor beschimpfen sich Menschen gegenseitig und jeder scheint es sehr eilig zu haben.
Weiter die Straße entlang führt mich mein Weg und auch hier ist keine Spur von Ruhe und Besinnlichkeit. Ich überlege, wo all die Menschen, die in den Autos sitzen denn eigentlich hinwollen. Einige Gruppen sind auf demselben Weg wie ich unterwegs und so drossele ich mein Tempo absichtlich, um nicht direkt vor oder hinter ihnen zu laufen. Natürlich ist dies nicht der einzige Grund, denn ich habe mir vorgenommen diesen Tag etwas achtsamer als üblich zu begehen. Deshalb beobachte ich nicht nur die Menschen und die Autos, sondern sehe mir auch die mehr oder weniger schlafende Natur an.
Und auch wenn meine Umgebung nicht so recht dazu beitragen möchte, mich in Weihnachtsstimmung zu versetzen, gelingt es der Sonne und der Natur mir die Andächtigkeit dieser Zeit ins Gedächtnis zu rufen. Wirklich weihnachtlich ist mir vielleicht nicht zu Mute, aber feierlich, ja fast schon magisch scheinen diese Tage dennoch.
Sicher hat auch das Buch über die Rauhnächte, welches ich kürzlich gelesen habe, damit zu tun, enthielt es doch einige schöne Märchen und Legenden für Erwachsene.
Während also die Menschen auf der Straße an mir vorbeilaufen, versuche ich mich tatsächlich ein wenig in Entschleunigung. Bei einem Blick nach oben entdecke ich einen Raben, der direkt über mich hinwegfliegt, mit fast schon lässigem Flügelschlag. In den Bäumen zwitschern die Vögel und in einem entlaubten Exemplar entdecke ich hoch oben eines ihrer Nester.
In dieser Jahreszeit erscheint es mir zwar ungewöhnlich und vielleicht sollte ich mir Sorgen machen, doch stattdessen zaubert es mir ein Lächeln ins Gesicht.
Ich laufe weiter an der Lahn entlang, deren ruhiger Fluss beim Hinsehen auch eine ebenso beruhigende Wirkung entfaltet. Die Sonne spiegelt sich glitzernd im Wasser, nur unterbrochen von einigen Wolken, die sich hier und da am Himmel an ihr vorbei drängen. Dennoch ist der Himmel ein schöner Anblick. Helles blau, nur von einigen düsteren und einigen hellgrauen Wolken unterbrochen.
Eigentlich ist das gar nicht meine übliche Route beim Spazierengehen, doch ich bin einfach meiner Intuition gefolgt und erreiche schließlich die lange Brücke, die an der Straße entlang führt. Schön ist dieser Teil des Weges zwar nicht, aber der Blick auf den blauen Himmel ist frei und wenn die Sonne durchbricht, spendet sie ein wenig Wärme. Auf Höhe der Lahn halte ich kurz inne, ihrem ruhigen Fluss ein wenig zuzusehen, davon zu lernen.
Doch hier auf der Brücke ist der Wind noch kälter und er gräbt sich in mein Gesicht, zieht an meinen Ohren. Aber es ist nicht unangenehm. Im Gegenteil, es fühlt sich lebendig an, ich fühle mich lebendig an. Mein Blick schweift einmal mehr über die schlafende Schönheit der Natur, der, die in der Stadt noch übrig geblieben ist und gibt mir wieder dieses Gefühl von einer Art Magie umgeben zu sein, die alles durchdringt, besonders an diesen Tagen. Wieder lächele ich.
Dann lasse ich die Brücke hinter mir und erneut taucht die Sonne alles in ihr wärmendes Licht. Nun da ich schon eine Weile draußen bin, sind meine Ohren sehr kalt. Doch ihre Strahlen mildern den gefühlten Frost und sie scheint so, als würde sie mir den Weg nach Hause leuchten wollen, dorthin wo sie mich zu diesem Spaziergang eingeladen hat.
Nur gegen Ende lässt meine Aufmerksamkeit einmal kurz nach, als ich von zwei Kindern überholt werde. Ein schlafender Strauch erinnert mich mit einem seiner Äste an meinen Vorsatz, auch diesen Spaziergang achtsam zu begehen und ich muss wieder lächeln.
Als ich nach einer guten Stunde in meine Wohnung zurückkomme, strahlt die Sonne noch immer durchs Fenster. Die meisten Menschen verbinden mit Weihnachten sicher keinen Spaziergang bei Sonnenschein, aber wenn Weihnachten symbolisch für die Geburt steht und die damit verbundene Hoffnung, was könnte das besser verkörpern als das Licht der Sonne.
© Bild: Christina Kade